Hand aufs Herz

Hand aufs Herz: wie viele elektronische Gerätschaften verwenden Sie zu Hause und im Beruf? Wie viele Apps zählen Sie auf Ihrem Smartphone und wie viele davon nutzen Sie täglich? Wie oft lesen Sie oder Ihre Familienmitglieder an Sonn- und Feiertagen Mails, Tweets und Nachrichten am Smartphone? Und wie oft checken Sie Kommentare in den sozialen Medien oder teilen Fotos?

Die schlechte Nachricht: „Der exzessive Gebrauch von Technologie und mobilen Geräten die vollgepackt mit immer intelligenterer Software  und immer am Netz sind, können uns nicht nur entmündigen, sondern auch abhängig und in gewisser Weise digital dement machen.“ (Gerd Leonhard, Futurist und Zukunftsberater, internationaler Keynote-Speaker und Strategie-Coach)

Die gute Nachricht:  Sie sind am Puls der Zeit! Sie können damit ab sofort beim neuesten Trend mitmachen – dem „digital detoxing“.

„Digital Detox“ = (lt. Oxford Dcitionary) Zeitraum, in dem eine Person auf die Benutzung elektronischer Geräte verzichtet, um Stress zu reduzieren und mit der physischen Welt zu interagieren. Also: Kein Handy, kein Zugang zum Internet, kein Radio und kein Fernsehen. Auch der iPod und der MP3-Player sind tabu.

Erst wurde uns weiß gemacht, wir brauchen Laptops, Smartphones, Tablets und vieles mehr um unser Leben zu vereinfachen und mehr Zeit zu gewinnen. Nun heißt es, wenn wir diese abschalten und das am besten für Tage oder Wochen sind wir leistungsfähiger und glücklicher.

All die Achtsamkeitstrainings oder Gruppenmeditationen, Yoga oder Pilates können Sie ab sofort getrost vergessen. Allein die digitale Entschlackung (!) „fördert ihre Achtsamkeit“ und „verbessert“ – laut einschlägigen Printmedien* – „ihre Wahrnehmung und stellt das Menschliche wieder in den Vordergrund“ (*“Kein Bett für Handys“, active beauty 2015/16).

Es reicht also bewusst offline zu gehen und ihr Leben ist wieder in Ordnung. Endlich können Sie sich wieder Ihren Mitmenschen widmen. Endlich geht es um Austausch in der echten Welt, im „Second Life“ ist man einfach mal auf Urlaub.

Second life = (deutsch: zweites Leben) ist eine Online-3D-Infrastruktur für von Benutzern gestaltete virtuelle Welten, in der Menschen durch Avatare interagieren, spielen, Handel betreiben und anderweitig kommunizieren können.

Apropos Urlaub!
Die holländische Studentin Zilla van den Born hat 2014 eine fünfwöchige Reise durch Laos, Kambodscha und Thailand auf Facebook für Freunde und Familie dokumentiert: von der Abreise aus Holland, über das vielfältige und exotische Essen, ihre Besuche in buddhistischen Tempeln. Auch Unterwasseraufnahmen waren dabei. Alles, was man sich von einer Rucksackreise durch Asien als Daheimgebliebene erwartet.
Tatsächlich waren ihre Postings ein digitaler Schwindel: ihre Wohnung hat sie mehrmals im asiatischen Stil umdekoriert, ihren Arbeitsplatz hat sie in ein Internetcafé verwandelt, die Unterwasserfotografien hat sie im städtischen Hallenbad aufgenommen und die Fotos mit den Mönchen wurden im heimischen Zentrum für Buddhismus aufgenommen. Andere Bildbeweise wurden mit Photoshop erstellt. Das „Fakebooking“ war Teil ihrer Bachelorarbeit im Fach Grafikdesign an der Kunsthochschule Utrecht. zu sein.

Zilla wollte damit zeigen, dass die „ideale Welt, die wir uns im Internet schaffen, nicht existiert.“

Dann also doch mal abschalten und wieder ins echte Leben eintauchen!

Der Tourismus ist übrigens auf diesen Zug schon aufgesprungen. Mit Angebote unter dem Motto „bewusste Auszeit von der Online-Welt“ laden Urlaubsanbieter in die österreichische Bergwelt ein. (Smartphone & Co müssen im Tal bleiben.)

Keine Frage, es macht Sinn sich bewusste Auszeiten von der Online-Welt zu nehmen. Unbestritten ist auch, dass das was im Internet und ganz speziell in den sozialen Medien zu sehen und zu lesen ist, kritisch hinterfragt werden muss. Das Beispiel von Zilla zeigt auf harmlose Weise wie nah Sein und Schein beisammen liegen.

Aber brauchen wir tatsächlich Reiseangebote, die uns zu Urlaubsbeginn Smartphone & Co abnehmen, weil wir aus eigenem Antrieb nicht fähig sind, einzelne Tage oder gar eine Woche „offline“ zu verbringen?

Der Autor Bert te Wildt* meint, dass es „im Internet nicht um Achtsamkeit gehe, sondern um Beachtung.“ Ein erheblicher Unterschied! „Mit den mobilen Endgeräten wird es immer schwieriger, einfach einmal nur zu sein“, urteilt er.

Dabei ist die Fähigkeit uns auf unser Gegenüber einstellen zu können, wirklich zuzuhören oder einfach nur die Welt um uns herum intensiv beobachtend erfassen zu können, grundlegend für gelingende private wie berufliche Beziehungen. Und das schließt die Beziehung zu sich selbst mit ein.
Denn wirkungsvolles Kommunizieren besteht zu gleichen Teilen aus „Sich-Mitteilen“ und „Zuhören“ – und das fängt bei uns selbst an.

Auf ausreichend entspannende und inspirierende Auszeiten 2016!

 

Buchtipps:
Digital Junkies – Internetabhängigkeit und ihre Folgen für uns und unsere Kinder
*Bert te Wildt, Droemer HC